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Fernstraßen haben politische Folgen, wie die Klanginstallation „A100. Der Klang der Berliner Stadtautobahn“ im CLB zeigt.

Sound Urban Design

Den Klang der Autobahn müsste man an der Ecke Moritzplatz und Oranienstraße eigentlich in ungefilterter und unbearbeiteter Form zu hören bekommen. In den 60er Jahren plante der Berliner Senat hier eine Autobahntangente, die A 106. Der Moritzplatz wäre von einem riesigen Autobahnkreisverkehr überspannt worden.

Als Folge dieser Planung – die zum Gluck nie in die Tat umgesetzt wurde – ließ man SO36 uber Jahrzehnte hinweg gezielt verwahrlosen, entmietete Häuser oder ließ sie vergammeln. In die zum Abriss vorgesehenen Häusern zogen „Gastarbeiter“ aus der Turkei, um 1980 begannen die Hausbesetzungen,die den Stadtteil zu einem Zentrum der Alternativkultur werden ließen. Von diesem Flair zehrt Kreuzberg bis heute. Autobahnen können also gesellschaftliche und stadtpolitische Folgen haben, selbst wenn sie nicht gebaut werden.

Daher ist der 2015 gegründete, unabhängige Projektraum CLB im Aufbau Haus am Moritzplatz ein sehr geeigneter Ort, um über die Rolle einer Stadtautobahn in einer Ausstellung nachzudenken, auch wenn die Stadtautobahn eigentlich weit entfernt ist – nicht zuletzt, weil dieser Ort nie entstanden wäre, wenn die A 106 gebaut worden wäre. Und wenn, würde man hier sein eigenes Wort nicht verstehen, eine Klanginstallation wäre schon gar nicht zu hören.

Nun vermischen sich Soundscapes, die in der Klanginstallation „A 100. Der Klang der Berliner Stadtautobahn“ von Sam Auinger, Georg Spehr und Hannes Strobl die großzügige, hohe Ausstellungsfläche füllen, mit dem Lärm des Verkehrs auf der Oranienstraße. BVG-Busse halten quietschend vor der Tür an einer Haltestelle, getunte S-Klasse-Motoren röhren, und die Sirenen von Krankenwagen heulen dazwischen; all diese Geräusche tönen über ein gekipptes Oberlicht, das für die Dauer der Ausstellung permanent geöffnet ist, in die Galerie hinein.

Mikrofonierte Brücken

Sie sind wie Soli zu den stehenden Klängen, die Sam Auinger und Georg Spehr an verschiedenen Brücken über die Berliner Stadtautobahn mikrofoniert haben. Diese haben sie weiterbearbeitet und teilweise mit Bass und Drums begleitet. Meist ist das eher piano. Der große Lärm der Moderne, der die Futuristen am Krach von Automotoren fasziniert hat und der die Einstürzenden Neubauten zu einem legendären Gig unter einer Berliner Autobahnbrücke inspiriert hat, kommt hier nicht zur Wiederaufführung.

An den Säulen im Ausstellungsraum widersetzen sich einige mickerige Pflanzen als „Stadtnatur“ den widrigen Umständen. An den Wänden sind Dokumente aus der Zeit der „autogerechten Stadt“ zu sehen, als der Bau einer Stadtautobahn noch eine Zukunftsutopie war – und nicht eine der wichtigsten Quellen der Belastung der Innenstadt durch Stickoxide und Feinstaub oberhalb der zulässigen Grenzwerte, wegen der die EU Deutschland und seine Großstädte schon länger auf dem Kieker hat. Auf einem Aquarell aus den 50er Jahren buddeln Kinder versonnen im Schatten einer Autobahn auf Stelzen. Ein Foto von der Eröffnung eines Teilabschnitt der A100 zeigt einem Korso von Mercedes-Limousinen, in dem auch noch ein Alt-Berliner Brauerei-Pferdegespann mitfahren darf.

Die real existierende A 100 dürfte mit dem Abschnitt, der derzeit Teile von Alt-Treptow zu einem riesigen Elefantenklo gemacht hat, zu Ende gebaut sein. Die Vervollständigung des „Stadtrings“ durch die Ostberliner Stadtbezirke wird sich gegen den Widerstand der Berliner nicht mehr durchsetzen lassen und ist auch schon aus dem Bebauungsplan gestrichen worden.

Der Traum von der autogerechten Stadt ist zwar noch nicht ausgeträumt, wie der kurzlebige Widerstand der SPD gegen das durch eine Bürgerbefragung erzwungene Mobilitätsgesetz in der letzten Woche zeigte. Doch aktuelle Verkehrsutopien leben in der wachsenden Stadt Berlin eher von der Hoffnung auf „protected lanes“ für Radfahrer, Leihrädern, die nicht von asiatischen Start-ups auf den Berliner Bürgersteigen platzraubend in den Weg gestellt werden – oder den inzwischen bereits zum Running Gag verkommenen Flugtaxis. Deren Klang dürfte dann wiederum Material für Klanginstallationen liefern, die nicht von der Vergangenheit der Mobilität handeln, sondern von deren Zukunft.

Erstmals erschienen in: taz. die tageszeitung vom 05.06.2018, Ausgabe 11644.